Engadin

Eine Runde mit Ellen Ringier

«Die Haltung spielt mit»

Spielen Frauen anders als Männer? Warum gibt es in der Schweizer Wirtschaft so wenig weibliche Führung? Kommt der Spass zwischen den Geschlechtern heute zu kurz? Eine Runde mit der Juristin und Mäzenin Ellen Ringier.

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Es dauert nicht eine Schlägerlänge, und schon wird klar, dass diese Runde mit Ellen Ringier eine besondere wird. Nicht, weil sie ihrem Ruf als Long Hitterin alle Ehre macht und dadurch vielleicht eine Art Competition auslöst. Und auch nicht, weil sie mit super präzisen Putts imponiert.

Nein, diese Runde wird deshalb besonders, weil man mit ihr ins Gespräch kommt und ja kommen will, weil ihre Philanthropie erfreut, ihr Charme ergreift, ihr Humor erheitert. Was vorsichtig gesagt dazu führt, dass diese Runde spielerisch wirklich nicht die stärkste, aber die unvergesslichste des Jahres 2020 ist.

Aber hübsch der Reihe nach. Ellen Ringier. Alter: 69. Sternzeichen: Schütze. Aufgewachsen in Luzern. Ihre Grossmutter flüchtete mit ihrer Tochter von Österreich nach England – im Zweiten Weltkrieg. Das prägt Generationen. Und geprägt hat Ellen Ringier auch das Credo ihres Grossvaters, eines Londoner Bankiers: All life is about to give other people a chance.

Vor fast 20 Jahren hat sie die Stiftung Elternsein gegründet. Sie ist Herausgeberin von Fritz+Fränzi, für die sie die Anzeigen jahrelang höchstselbst akquiriert hat. Die Eltern-Zeitschrift wurde vielfach ausgezeichnet, hat heute eine Auflage von über 100.000. Sie sagt: «Das Credo meines Grossvaters ist für mich zu einer Art Ersatzreligion geworden: Mich zu fragen, was willst Du erreicht haben, wenn der Sargdeckel über Dir einmal zu geht. Es geht weniger um mich, als darum, etwas dazu beizutragen, dass es der Gesellschaft ein kleines bisschen besser geht. Und das kann jeder. Auch mit kleinen Gesten im Alltag.» Der Grossvater war es auch, der Ellen Ringier zum Golfspiel brachte. Was allerdings würde er heute sagen? Wir schweigen! Sie selbst sagt über ihr Spiel nach dem ersten Loch: «Unkonzentriert, aber auch unbelastet.»

Ist es eine positive Diskriminierung, dass Frauen näher zum Green abschlagen als Männer?
«Frauen können genauso lang spielen wie Männer. Ich kann Männerabschläge machen. Natürlich kann das nicht jede Frau, aber auch nicht jeder Mann hat den längsten Abschlag.»

Joan Crawford oder Hellen Mirren?
«Hellen Mirren.»

Ist die Heiterkeitspflicht gegenüber der eigenen Mutter die unerfüllbarste aller Pflichten?
«Hast du Heiterkeitspflicht gesagt? Und das in Zusammenhang mit der eigenen Mutter? Wow.» Kurz denkt sie nach. Dann sagt sie: «Es gibt keine Pflicht. Ich bin ein ehrlicher Mensch. Wenn ich heiter bin, bin ich heiter. Wenn nicht, merkt das auch meine Mutter.»

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Inzwischen sind wir an Loch 4 angekommen. Ein Adler kreist über unsere Köpfe. Sie hat gute und schlechte Schläge gehabt, sie hat zwischendurch das getan, was ja alle Golferinnen und Golfer mal tun, nämlich den blöden Ball im Rough suchen, aber sie wirkt nicht gestresst und auch nicht gehetzt, eher angenehm zerstreut.

Nach Loch 4 kommentiert sie ihr Spiel erneut: «Unkonzentriert, aber voller Freude.» Und dann fügt sie hinzu: »Golfspielen braucht mehr. Golfspielen kannst Du nur fokussiert richtig machen. Als Kind war das ein echtes Problem. Ich war dafür bekannt, dass ich noch am Abschlag geredet habe.«

Die Fotografin setzt Ellen Ringier nun ins Licht, die Laune ist gut und ein Blick nach hinten erlaubt die Frage, ob wir die beiden nachfolgenden Spieler durchspielen lassen.

Ellen Ringier schaut rüber, hält einen Moment inne, sagt lakonisch: «Naja, so gut spielen sie nun auch nicht.» Dann schaut sie erneut in die Kamera. Sie trägt blau. Basecap, Handschuh und Hose in einem leuchtenden Azurblau, dazu ein Polo in dunklem oxford blue. Psychologen sehen in der Farbe Blau Vertrauen, Produktivität und Sympathie. Vielleicht kein Zufall. Jedenfalls macht ihr Blau dem Himmel heute ziemlich Konkurrenz.

Sie war auf einer Mädchenschule, einem, wie sie es nennt, «Töchtergymnasium». Und sie habe sich sehr früh distanziert von der Art der Mitschülerinnen, die mit Wimpern-Klimpern und erhöhter Stimme die Frauenkarte spielten. «Ich habe darüber nachgedacht und mir gesagt: Das hast Du nicht nötig.» Stets ermutigt von dem Satz ihrer Mutter: Speak up if you have something to say. Das Wort Influencerin löst bei Ellen Ringier ein Kopfschütteln aus wie wenn man den Papst zu römischen Orgien befragen würde. «Was für ein Frauenbild: alle mit langen blonden Haaren und gespritzten Lippen, auf Äußerlichkeiten bedacht.«

Unterwandern diese Frauen die Emanzipationsbestrebungen?
«Ganz sicher», sagt sie, «wenn du als junger Mensch mit einer bestimmten Attitüde sehr schnell Erfolg hast und jeder dir sagt ‚Du bist aber hübsch‘, dann lässt der Wille, intellektuelle Leistung zu zeigen, dramatisch nach. Es hat aber immer Frauen gegeben, die sich auf ihr Frau-Sein zurückgezogen und gedacht haben: ‚Ich brauche nur den richtigen Mann zu finden, und dann muss ich mich um nichts mehr kümmern‘.»

Hast du weibliche Vorbilder? (Selbstverständlich würde man Ellen Ringier Siezen, sie hat aber zu Beginn dieser Runde das Golfer-Du angeboten)
«Neben vielen anderen hat mich Königin Christina von Schweden in meiner Jugend beeindruckt. Sie hat sich früh und hartnäckig geweigert zu heiraten. Das war im 17. Jahrhundert ein Ausdruck maximaler Stärke. Sie muss die ganze Gesellschaft damit verrückt gemacht haben.»

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Es gibt bestimmt viele Dinge, die Ellen Ringier mit Christina von Schweden nicht gemein hat. Zum Beispiel das Tragen von Männerklamotten. Das Erzählen vulgärer Witze. Oder die Nähe zum Vatikan. Aber eins hat sie mit ihr gemein: Haltung zu zeigen. Wenn bei einer Gala eine rassistische Bemerkung fällt, dann steht sie schon mal auf, sagt: «Danke, meine Damen und Herren, das war es für mich heute.» Und verlässt den Saal. Das ist Ellen Ringier. Im Gegensatz zur exzentrischen Schwedin hat sie 1967 auch geheiratet – Michael Ringier vom gleichnamigen Verlagshaus. «Ich wollte immer eine Familie haben», sagt sie.

Da liegt die Frage nahe: Sind langjährige Beziehungen mehr Nostalgie als Neugier?
«Schöne Frage», sagt sie. «Langjährige Beziehungen brauchen Beides. Nostalgie hat durch das gemeinsam Erlebte einen hohen Stellenwert. Das Verhalten füreinander wird vorhersehbarer. Aus einer Fürsorge heraus, dass es beiden gut geht. Man muss seinen Status aber immer wieder verteidigen, damit man in der Zweisamkeit eine selbstständige Person bleibt.»

Ellen Ringier hat ihren Mann ans Golfspielen gebracht, wenngleich auch seine Mutter eine begeisterte Golferin war. Es dauerte nur wenige Monate, da spielte Michael Ringier Single-Handicap. Talent und Wille! Sie selbst setzte eine lange Zeit aus («ich hatte einfach zu wenig Zeit») und fing vor wenigen Jahren wieder an. Sportlich war sie immer. Tennis. Bergklettern und vieles mehr hat sie gemacht. »Beim Golfen will ich Spass haben. Ich bin eine social playerin.» Verbissen ist sie nicht. Und es braucht nach Loch 9 auch nicht viele Worte, um beim Blick zum Himmel zu entscheiden, die mit Fellen belegten Bänke auf der Terrasse des Clubhauses gegen unser Colfcart einzutauschen. Wir bestellen Pasta («die Teigwaren sind hier besonders gut») und vertiefen das Gespräch bei Weinschorlen und Zigis. Sie spricht von ihrer Zeit in Hamburg, wo sie und ihr Mann sechs Jahre gelebt haben («wunderbar»), vom schweren Los der Mütter mit pubertierenden Töchtern und darüber, dass die Diskriminierung von Frauen erst dann beendet ist, wenn man nicht mehr über sie spricht beziehungsweise sprechen muss.

Warum gibt es in der Schweizer Wirtschaft denn noch immer so wenig Frauen?
«Frauen sind meistens ziemlich direkt und durch ihre Empathie für soziale Themen vielleicht viel offener. Das stört vermeintlich den Cash flow oder zumindest die Rendite. Das stimmt übrigens nicht, im Gegenteil, gemischte Teams sind erwiesenermassen erfolgreicher! Aber vielleicht haben Männer auch einfach nur Angst, weil Freuen vor allem in der heutigen, schwierigen Zeit Vorteile haben, weil sie ganzheitlich denken.»

Sollte man mit Quoten eine Gleichstellung forcieren?
«Ich war immer gegen Quoten, verstehe aber, dass sich ohne Quote kaum etwas bewegt.»

Ist es political correct, für die Quote zu sein?
«Frauen sollten wegen ihres Könnens gewählt werden, und nicht wegen ihres Geschlechts. Political Correctness ist furchtbar. Sie killt das Spontane, das Emotionale. Die Spannung zwischen den Geschlechtern ist doch etwas sehr Schönes.«

Nach knapp zwei Stunden verabschiedet sich Ellen Ringier. Sie sagt: «Beim Golfen bin ich heute gar nicht richtig zum Zuge gekommen. Das ist ein bisschen frustrierend. Aber wir spielen ja wieder.» Looking forward…