Engadin

Eine Runde mit Silvano Vitalini

«It's bogey time!»

Er besitzt 150 Krawatten. Aber auf dem Platz braucht er nur ein paar Schläge. Was man beim Golfen über sich selbst lernt und was ein Mann unterm Schottenrock trägt - eine Runde mit dem Modedesigner Silvano Vitalini.

Silvano_Vitalini

Gegenüber einer Frau würde man sich diesen Satz verkneifen. Denn gut möglich, dass er einem in diesen Zeiten der political over-correctness um die Ohren fliegen würde. Aber es muss einfach raus: Dieser Mann, ja, sieht verdammt sexy aus.

Mit seinen blauen Augen zum dunklen Haar, dem scharf geschnittenen Gesicht und der sportlichen Erscheinung. Ob als Fahrer im Oldtimer, beim Verspeisen eines Burgers oder im Dreiteiler in der Bahnhofshalle. Ob beim Skifahren, beim Wasserwaten oder beim Einkaufen. Ob mit Pfeife oder auf einer Vespa. Auf all diesen Fotos, die von ihm kursieren, gibt Silvano Vitalini eine gute Figur ab.

Und um auch das gleich zu sagen: Beim Golfen ist es nicht anders. An diesem frühen Morgen, an dem eine Nachtigall auf der Holzhütte des Platzwartes eine Arie hinzulegen scheint, trägt er blaue Chino, blaue Sonnenbrille und einen Pullover in Grün. Ist mehr als entspannt. Greift zum Driver. Holt aus – und – ab geht die Post. 180 Meter mögen das sein, vielleicht auch mehr. «A way to start a Monday morning», sagt er zufrieden und lächelt verschmitzt in sich hinein.

Gestatten: Silvano Vitalini. Modedesigner. Geboren in Samedan. Sternzeichen: Fische. Lieblingsspeise: Rös-Putin im Dal Mulin – ein Kuchen aus Rösti, Crème fraîche und Kaviar. Mindestens so frech, wie Vitalinis Camouflage-Blazer, den er aus einem funktionalen, 100 Prozent wasserdichten High-Tech-Stoff kreiert hat.

Welche Fragen stellt man einem 35-jährigen Modedesigner zuerst? Beginnen wir mit der: Ist die Bekleidung beim Golf nur dann angemessen, wenn sie bereits ein Handicap an sich darstellt?
Er sagt: «Ich trage keine Golfklamotten. Ich spiele meistens mit Hemd und normaler Hose.»

Würdest Du Dir noch ähnlichsehen, wenn Du so schön wärst, wie du möchtest?
«Ich bin absolut glücklich mit mir selbst. Könnte mir nichts dazu wünschen oder wegwünschen.»

Es ist Herbst. Die Sonne scheint. Und das weite Tal, das Gäste aus der ganzen Welt anzieht,  zeigt sich von seiner Bilderbuchseite. Es ist ein Tag, an dem man morgens Skifahren, mittags im Stazer See baden und nachmittags Golf spielen könnte.

Der Himmel blau. Die Lärchen orange. Die Greens wunderbar grün.

«Der Platz ist noch immer in einem schönen Zustand», sagt er am Ende von Loch Sechs. Er hatte einen super Drive, ein super Eisen 7, einen super pitch und einen ziemlich guten put. Und jetzt wird klar: Es ist sein Bogey-Tag. Der Mann spielt lässig, präzise, konzentriert.

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Mit 12 habe er zunächst Tennis gespielt, sei über Freunde dann aber ziemlich schnell zum Golfen gekommen. Also zogen die Jungs nach dem Unterricht auf den Platz.

Da liegt die Frage nahe: Hast Du beim Golfen mehr über Dich gelernt als in der Schule?
«In der Schule habe ich nicht viel über mich gelernt. Viel über mich habe ich beim Militär gelernt, zum Beispiel, dass mein Körper viel mehr aushält, als ich gedacht hätte. Und beim Golfen habe ich gelernt, wie wichtig das Mentale ist. Dass ich erst Spass am Spiel haben kann, wenn ich positiv bin und bleibe, wenn ich schlechte Schläge ausblende und mich an den guten erfreue.»

«Ein gegebener Anlass ohne Blazer - das würde mir den Moment ruinieren»

Das Nähen hat ihm seine Grossmutter beigebracht. Und als die Schulleitung nicht zuliess, dass er in seiner Matura-Arbeit über das Magazin Playboy schreibt, entwarf er stattdessen eine kleine Modekollektion. Hosen, Blazer, was ihm gefiel. Der Beginn seiner Modelaufbahn. Danach ging es ins Fashion Center Reutlingen, als Assistenzdesigner nach Shanghai und zum Studium für Modedesign nach Zürich. Er sagt: «Ich kreiere nicht nur gerne für andere, sondern auch für mich. Ich ziehe mich gerne schön an. Auf Reisen habe ich für jeden Moment, der eintreten kann, das Passende dabei. Ein gegebener Anlass ohne Blazer – das würde mir den Moment ruinieren.»

Wenn man solche Sätze von ihm hört, dann sieht man ihn vor sich, wie er morgens einen nach Farben sortierten, begehbaren Kleiderschrank aufsucht und mit zwei, drei Griffen gleich das Passende zu seiner Gemütslage rauszieht. Doch weit gefehlt. Er sagt: «Ich habe einfach nur irre viel Klamotten, ohne begehbaren Kleiderschrank. Sortiert sind nur Schuhe und Krawatten.» Er finde immer einen Anlass, eine Krawatte zu tragen, besitze inzwischen rund 150.

Silvano_Vitalini

Sneakers oder Lederschuhe?
«Lederschuhe.»

Einstecktuch oder Taschentuch?
«Einstecktuch.»

Armbanduhr oder Taschenuhr?
«Armbanduhr.»

70er oder 80er-Jahre-Mode?
«80er.»

Eisen sieben oder Eisen fünf?
«Eisen sieben.»

Gibt es eigentlich eine Parallele zwischen dem Golfen und dem Nähen?
Er überlegt. Und sagt: «Vielleicht die Vorbereitung. Man sieht, wo man hin will und welche Gelegenheiten sich bieten. Und man hat ein Ziel. Bei der Ausführung ist es auch ein bisschen ähnlich: Wenn ich einen Golfschlag verhaue, dann zählt der weitere. Wenn ich einen schönen Stoff verschneide, dann zählt das auch, dann verdiene ich nämlich im Endeffekt nichts mehr daran. Aber das ist Gott sei Dank nur selten passiert.»

Wenn es etwas Langweiliges bei dieser Golfrunde mit Silvano Vitalini gibt, dann das: Er spielt so konstant, dass ein wirklich schlechter Schlag überraschen, ja, und ohne missgünstig zu sein auch erfreuen würde, denn das würde ein kleines bisschen Fehlbarkeit zeigen. Aber der schlechte Schlag setzt nicht ein. So kommen wir fix über den Platz. Er spielt einen Bogey nach dem anderen. «Das Golfen«, sagt er, «ist nach dem konzentrierten Nähen für mich aber einfach nur fun. Ein bisschen Sport, die Seele baumeln lassen.»

Gibt es etwas, was Dich beim Golfsport nervt?
«Eigentlich bin ich sehr entspannt. Und ich spiele meistens nur mit Freunden und nicht mit Fremden in einem Flight. Die ewigen Besserwisser, diejenigen, die andere ständig belehren, die würden mich nerven. Genauso wie die Männer, die ihre Ehefrauen beim Spiel stets korrigieren und verwirren, ohne gefragt zu sein.»

Wir kommen zu Loch 18. Es ist sein Lieblingsloch. «Super cool», sagt er, «wenn Du die 18 mit einem super Abschlag beendest, ist die Welt in Ordnung, dann bist Du glücklich.» Bevor er aber abschlägt, noch zwei Fragen.

Entwirfst Du Deine Mode lieber für Frauen oder für Männer?
«Mehr Spass macht es mir, für Männer zu entwerfen, obwohl ich bei Frauen viel mehr Möglichkeiten habe. Weniger Limitierung, was Stoffe und Schnitte betrifft.»

Was ist für Dich der schönste Stoff?
«Es gibt für jeden Zweck und Anlass einen schönen und besten Stoff. Mein Lieblingsanzug ist aus Kaschmir mit Streifen. Ein Traum. Dunkelblau mit Kreidestreifen. Aber eines der angenehmsten Kleidungsstücke, die ich jemals tragen durfte, war ein Kilt. Ein Schottenrock. Ich war auf einer Hochzeit in Schottland eingeladen, der Kilt war dresscode. Auf dem Weg zur Feier haben mir die Damen nachgepfiffen. Das war ein schönes Gefühl. Und um das gleich hinzuzufügen: Nein, man trägt nichts drunter.»

Dann schlägt er ab ­–der Ball zischt Richtung Clubhaus und das Glück spaziert über sein Gesicht. Noch ein Schlag. Noch ein put. Klick. Drin. Kein Wunder, dass ihm die Damen nachgepfiffen haben!